Re: Der Südharzer Gipskarst zwischen Gradwanderung und Probesprengung


Abgeschickt von Hartwig Ehlert am 07 Mai, 2008 um 05:05:00

 Antwort auf: Re: Der Südharzer Gipskarst zwischen Gradwanderung und Probesprengung von Dr. Gerald Dehne am 20 Maerz, 2008 um 18:25:38

 Herr Dehne empfiehlt den Naturschützern, aus unfruchtbarer Konfrontation und gegenseitiger Blockade zu Kooperation mit der Gipsindustrie bei der gemeinsamen Aufgabe der "Renaturierung" der ausgenutzten Flächen zu kommen. Solche Kooperation könnte aber nur unter sachlich fundierten und politisch ehrlichen Prämissen sinnvoll sein.
Auf welchen Prämissen basiert nun das Kooperationsangebot der Gipsindustrie ?

1) Ein Argument lautet, zumindest für anspruchsvolle (etwa medizinische) Anwendungen sei Naturgips durch REA-Gips nicht substituierbar. Wenn der dafür ausschlaggebende Parameter die Reinheit ist, wäre dem entgegenzuhalten, daß REA-Gips nach neuen Verfahren inzwischen höhere Reinheitsgrade erreicht als jeder Naturgips. Vielleicht ein Grund dafür, daß etwa Knauf sein größtes Werk Iphofen voll auf (per Bahn aus Mitteldeutschland herantransportierten) REA-Gips umgestellt hat. Auch Dentalgipsproduktion auf REA-Basis gibt es schon. Wieso legen die Südharzer Gipsfirmen ihr Kapital nicht zusammen für ein großes Werk auf REA-Gipsbasis mit Bahnanschluß - etwa auf der wohl kaum "renaturierbaren" Wüste, wo einmal der Kohnstein war - und ziehen sich endlich zurück von Ellricher Klippen, Altem Stolberg und andern hochsensiblen Bereichen des Gipskarst?! Die Marktwirtschaft macht´s unmöglich? Die hindert die Konzerne doch sonst auch wenig bei ihren Absprachen !(Was wirklich fehlt, sind klare polit. Vorgaben)...Ein weiteres Argument ist, daß auch REA-Gips nicht nachhaltig produziert wird, sondern Kuppelprodukt der Nutzung von Fossilenergie ist. Abgesehen davon, daß Gips auch in großen Mengen in der Chemie (etwa Phosphatdüngerproduktion) anfällt,wäre die einzig logische Konsequenz dieses (im Prinzip zutreffenden) Arguments doch nicht die (noch viel weniger nachhaltige)Beibehaltung des Naturgipsabbaus, dazu noch in einer Karstlandschaft von überragendem Erholungs- und Naturschutzwert! Vielmehr müßte die Gipsindustrie sich forciert um Substitution ihres Rohstoffs durch funktionsäquivalente Ersatzstoffe aus erneuerbaren bzw. rezyklierbaren Rohstoffen bemühen.Für die Zwischenzeit bis zur Marktreife solcher Ersatzstoffe müßte sie ihre Rohstoffgewinnung ganz auf untertägige Lagerstätten abseits der Karstgebiete konzentrieren. Nur eine solche Strategie stünde nicht in logischem Widerspruch zu ihren eigenen Verbalpositionen und wäre politisch als Kooperationsgrundlage auch mit dem Naturschutz ernstzunehmen. Natürlich ist das auch eine Kostenfrage. Aber nur eine konsistente und ehrliche Strategie des geordneten Rückzug aus dem Naturgips könnte überhaupt Grundlage sein für eventuelle politische Flankierungsmaßnahmen...

2)Der zweite Stützpfeiler der Argumentation ist die Behauptung, daß durch "Renaturierung" und "gelenkte Sukzession" auf Abbauflächen die zerstörten Naturfunktionen nicht nur voll wiederhergestellt, sondern sogar gegenüber dem Ausgangszustand verbessert werden können.Abgesehen davon, daß diese Aussage bestenfalls beim Ausgangszustand "ausgeräumte Agrarlandschaft" (aber gewiß nicht bei naturnaher Karstlandschaft) eine gewisse Plausibilität hat, ist die logische Implikation dieser Behauptung, daß evolutionär entstandene Strukturen und Funktionen natürlicher Landschaft durch technische Verfahren regeneriert, also natürliche Evolution durch künstliche Planung ersetzt werden kann. Dem entspricht ein Bild von Evolution als gesetzmäßigem Optimierungsprozeß, der durch Planung technisch imitiert werden kann bzw. Evolution als bloß zufälligem Glücksspiel, das durch kluge Planung zu überlisten sei. Ökologische Konsequenz solcher Evolutionsvorstellungen wäre dann z.B. die Schaffung möglichst vieler, jeweils durch Biotopmamagement zu optimierender Sukzessionsflächen - warum nicht durch Gipsabbau und anschließende Renaturierung ! Dergleichen ökonomisch-ökologische "Ko-Evolution" wäre dann gegenüber bloß konservativem Naturschutz die überlegene Strategie. Denn für den Arten-und Biotopschutz wäre die Schaffung vieler und vielfältiger Sukzessionsflächen, wo bedrohte Arten entweder gezielt gefördert werden könnten oder wenigstens neue Spielchancen im Evolutionsroulette bekämen, viel effektiver als die Beschränkung auf wenige Reliktstandorte, die zudem populationsgenetisch und ökologisch immer schwächer vernetzt sind, so daß die Aussterbewahrscheinlichkeit hier mangels Größe, Vielfalt und Fitness immer mehr steigt. So stellt sich Gipsabbau als der langfristig effektivere Naturschutz dar... Nur leider ist das (diese Argumentation tragende) Bild von Evolution eine reine Projektion ökonomisch-technischer Rationalität auf die Natur, deren Komplexität aber nach aller Erfahrung letztlich alle "rationalen Reduktionen" übersteigt und unterläuft. Zudem widerspricht die neuere Evolutionsforschung eklatant diesem Bild von Evolution als Optimierungsprogramm bzw. als Glücksspiel. Evolution läßt sich nur als äußerst komplexes (daher weder plan- noch optimierbares) Zusammenspiel von Gesetzmäßigkeiten und Zufällen verstehen.Wie die Chaostheorie eindrucksvoll modelliert hat, vollzieht sich Evolution zwar letztlich kausal determiniert, aber eben auf derart komplexe Weise, daß sie sich unsern Prognose-, Steuerungs- und Kontrollkapazitäten (trotz aller informationstechnischen Erweiterung) prinzipiell entzieht. All unsere planvoll technischen Eingriffe mischt die Evolution zusammen mit natürlichen Variations- und Selektionsfaktoren, und was dabei insgesamt herauskommt, ist weder wissenschaftlich vorhersagbar noch technisch planbar - und das nicht nur im Großen der globalen Evolution, sondern schon im Kleinen lokaler Sukzessionen...
Unter diesen Prämissen ist es wahrscheinlich,daß Evolution umso eher relativ sanft im Sinne gradueller Anpassungsprozesse verläuft, je weniger wir die Komplexität natürlicher Faktoren noch durch künstliche Eingriffe übersteigern und dynamisieren. Dann nämlich mutiert die graduelle Evolution irgendwann in "Katastrophenevolution", in der nicht mehr die durch lokale Anpassung erworbene Fitneß das entscheidende Selektionskriterium zum Überleben ist, sondern der schiere Zufall, an die drastisch schwankenden Umweltbedingungen jeweils schon prä-adaptiert zu sein. Der globale Klimawandel tendiert schon in diese Richtung. Unter diesen Bedingungen können gerade "schlecht vernetzte", isolierte Relikt- Populationen von Arten wichtig werden, die in andern Klimaperioden zugewandert sind und sich an konkurrenzarmen Extrembiotopen halten konnten. Gerade weil sie hier nur suboptimal angepasst sind und noch Evolutionsspielraum haben, könnten sie jetzt "zufällig" an das sich wandelnde Klima angepaßt sein, u.U. sogar besser als die Hauptpopulationen der Arten in den angestammten Klimazonen (die sich nun rapide verschieben). Das "konservative" Erhalten von Randpopulationen ist also gerade in turbulenten Zeiten wie heute evolutionär begründet - und keineswegs bloß Marotte von Naturschützern mit irrationalem Faible für alles "Unangepaßte"! Dagegen könnte die abbaubedingte Schaffung vieler Sukzessionsbiotope eher zur Nivellierung dieser besonderen Fitneßfaktoren beitragen und damit dem Erhalt gerade der seltensten, z.T. endemischen Taxa zuwiderlaufen - zugunsten der Förderung ruderaler,an menschgeprägte Umwelten schon angepasster, konkurrenzstarker Allerweltsarten.
(Wie in der "organisierten" Marktwirtschaft die Marktführer von heute gern die innovativen Außenseiter und potentiellen Konkurrenten von morgen fressen, so dominieren die heute durch "gelenkte" Sukzession geförderten konkurrenzstarken Arten die potentiellen Träger neuer Evolutionslinien von morgen.Die ökologische Strategie der Gipsindustrie ist blinde Projektion ihrer ökonomischen Strategie, die heutige Erfolgsbedingungen in die Zukunft extrapoliert, also die Rechnung ohne den Wirt, d.h. die Evolution, macht ...)

Nach alldem wäre eine Kooperation zwischen Naturschutz und Gipsindustrie nur unter folgenden Bedingungen sinnvoll:
- Aufgabe der evolutionär obsoleten Machbarkeitsüberschätzung (vor allem der Vorstellung, durch "Renaturierung" den Naturzustand gleichwertig ersetzen oder gar planmäßig verbessern zu können);
- Aufgabe aller neuen Abbauvorhaben zugunsten des strengen Schutzes der aktuellen und potentiellen Naturbiotope aller bedrohten Arten, ohne künstliche "Vernetzung" und Störung, auf genügend großen Flächen, die für langfristige Reproduktion und Evolution der Arten ausreichen;
- Unterstützung aller Bemühungen um eine "sanfte" Ko-evolution zwischen Mensch und Natur, wie etwa im Konzept "Biosphärenreservat" mit seiner Verbindung von Arten- und Prozeßschutz in Kernzonen und regionalwirtschaftlichem Kulturlandschaftserhalt in Entwicklungszonen angedacht ist.
Nur so könnten Gegengewichte verstärkt werden gegen den Trend zur Katastrophenevolution, den uns nicht zuletzt der Machbarkeitswahn beschert hat - und der die Gattung Mensch letztlich dem Schicksal der Dinosaurier ausliefern könnte ... Aber die wußten nichts von Evolution ! Sollte es nicht menschenmöglich sein, mit praktizierter Evolutionstheorie die Dinosaurierpraxis (vor allem in Wirtschaft und Politik) zu überschreiten - und damit dem Dinosaurierschicksal vielleicht doch noch zu entgehen ?!
Im Rahmen eines geordneten Rückzug aus überzogenen Ansprüchen könnten dann auch ehrliche Renaturierungsbemühungen der Industrie (die nicht als ideologischer Vorwand zur Rechtfertigung neuer Abbauvorhaben mißbraucht werden) in eine ko-evolutive Strategie miteinbezogen werden - etwa Gestaltung von Ersatzbiotopen zur Rettung besonders bedrohter Arten, deren Populationsgrößen an natürlichen Biotopen schon unter die nachhaltige Reproduktionsschwelle gerutscht sind .
Solange aber die obigen kritischen Punkte nicht positiv geklärt sind, droht auch das wunderbare Projekt des Karstwanderweges durch die (grundsätzlich im Sinne von Folgenverantwortung erwünschte) Beteiligung der Industrie ins Zwielicht zu geraten und zur ideologischen Entproblematisierung ihrer derzeitigen Praxis mißbraucht zu werden !

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